Turandot sprengt Grenzen

Pfalztheater-Premiere wird höchsten Ansprüchen gerecht

Von PZ-Redakteur

Hansheiner Ritzer

Mit der letzte Premieren dieser

Saison auf der Musikbühne hat

das Kaiserslauterer Pfalztheater

Maßstäbe gesetzt: Puccinis

Oper „Turandot“ – in ihrer musikalischen

und szenischen Opulenz

überhaupt nur als Co-Produktion

mit den Musikfestspielen

Saar zu realisieren – ist am

Samstag in einer Inszenierung

gelungen, bei der Orchester, Ensemble

und Solisten unter Führung

von Francesco Corti und

Urs Häberli die bisherigen

Grenzen des Hauses schlichtweg

sprengten – in einer gewaltigen

Kraftanstrengung und dennoch

scheinbar spielend.

Das Märchen der Männer

mordenden Prinzessin Turandot

gilt vielen als Puccini Meisterwerk,

obwohl der Komponist

die Krönung seines Lebenswerkes

nicht vollenden konnte. Ende

1924 stirbt der Komonist

und als seine Turandot im April

1926 in Mailand uraufgeführt

wird, endet die Aufführung mit

dem Tod der Sklavin Liù, die ihr

Leben lässt, um den Geliebten

Calaf nicht verraten zu müssen.

Erst später wird der dritte Akt

von Franco Alfano vervollständigt,

der die Wandlung Turandots

hin zur Liebenden auflöst,

wachgeküsst durch des Prinzen

Calaf Liebe und Leidenschaft.

Die Geschichte der schönen

Prinzessin, die sämtlichen Bewerber,

die um ihre Hand anhalten,

köpfen lässt, nachdem

keiner die gestellten Rätsel lösen

kann, interpretiert Puccini

ganz als den archaischen Geschlechterkampf.

Turandot

verweigert sich den Männern

aber nicht aus leerer Eitelkeit,

das Andenken an die geschändete

Ur-Ahne schürt ihren

Hass auf alles Männliche.

In der Pfalztheater-Inszenierung

ist Turandot von Anfang

an präsent, obwohl Puccini die

Spannung bis zur Mitte des

zweiten Aktes aufbaut, bevor er

der Prinzessin Stimme verleiht.

Gleichsam über den Dingen

schwebend, sitzt Turandot

in sich gekehrt auf einer

überdimensionalen Mondsichel,

die das Bühnenbild bis

zum Schluss überstrahlt. Ungerührt

beobachtet die Prinzessin

wie ihr zu Füßen – unter

dem frenetischen Jubel eines

geifernden Volkes – ein weiterer

erfolgloser Bewerber den

Kopf verliert. Fast 90 Sänger –

Chor und Extrachor, sowie 20

Kinderstimmen – und ein großartiges

Orchester beschwören

in diesen Massenszenen Angst

und Schrecken herauf, die Puccini

in seine Gänsehaut-Partitur

gepackt hat. Instrumentalisten

und Stimmen nahmen

die Herausforderung des Komponisten

an und meisterten sie

bestechend eindringlich.

So einfach wie variabel dazu

das Bühnenbild, das die Wirrungen

und Verstrickungen aufnimmt,

die Puccinis Turandot

heraufbeschwört. Zwischen Labyrinth

und Tangram lässt Thomas

Dörflers Bühnenraum die

Massen genauso zur Geltung

kommen, wie die intimen Szenen.

Einzig die Szene in der sich

die drei Minister „im Untergrund“

die bluttriefenden Köpfe

der gescheiterten Liebeswerber

zuspielen, wirkt unpassend.

Aber dafür bringt das Pfalztheater

eine Reihe hervorragender

Solisten ins Spiel. Laurie

Gibson verleiht der unglücklichen

– weil verbotenen – Liebe

der Sklavin Liù nicht nur die

stimmliche Reinheit, Hidekazu

Tsumaya führt in die verzweifelten

Tiefen des Tartaren-Königs

Timur, der seinen Sohn von

den tödlichen Rätseln zu bewahren

sucht. Und Steffen Schantz

gibt einen zerbrechenden Kaiser

von China, der dem tödlichen

Treiben seiner Tochter

ohnmächtig gegenüber steht.

Über allem stehen jedoch die

beiden neuen Stimmen, die das

Pfalztheater erstmals seinem

Opernpublikum präsentierten.

Dass Carlos Morenos kraftstrotzender

Tenor jedes Herz

erobern kann, beweist der Spanier

nicht nur mit dem selbstbewussten

„Vincero“ („Ich werde

siegen“) seines Calaf.

Mit ihrem wahrhaft gewaltigen

Sopran lässt Rachael Tovey

als Turandot keinen Takt lang

Zweifel daran, wer – bis zum

Kuss – das Heft des Handelns

in der Hand hält. Herrisch intoniert

die Engländerin die Arie

„In questa reggia“ („In diesem

Palast“), in der sie Calaf auf die

Probe stellt. Zweifelnd gesteht

sie die Niederlage ihrer Turandot

ein, Verzweiflung lässt sie

spüren, als sie dem Freier dennoch

zu entrinnen sucht. Tovey

zeigte sich wandlungsfähig im

Ausdruck und jederzeit dem

Klangkörper gewachsen, den

ein am Ende schweißgebadeter

Francesco Corti zu immer neuen

Höhepunkten trieb.

Lediglich die plötzlich entflammende

Liebe nach Calafs

Kuss wollte man der Power-

Frau nicht so recht abnehmen.

Das schmälert aber in keiner

Weise den seltenen Operngenuss,

den das gesamte Ensemble

an diesem Premierenabend

einem begeisterten Publikum

bescherte.

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