opernnetz  21. September 2009

Dünne Wände- überzeugende Don Giovanni-Inszenierung in Kaiserslautern

Nach einem halben Jahr Auszeit schreibt Frank Herkommer wieder für opernnetz.de: Eine fulminante Don Giovanni- Inszenierung am Pfalztheater Kaiserslautern von Thomas Krauß

Points of honour:

Regie: 4 Sterne - Musik: 4 Sterne - Bühne: 5 Sterne - Publikum: 3 Sterne - Chat- Faktor: 4 Sterne

Don Giovanni (Prager Fassung)

Oper von Wolfgang Amadeus Mozart

Pfalztheater Kaiserslautern

Dünne Wände

Thomas Krauß sorgt für Aufsehen am Pfalztheater Kaiserslautern. Schauspieldirektor am Haus, wagt er sich mit seiner ersten Operninszenierung auf vermeintlich abgeweidetes Gelände, um mit einer brillanten Inwerksetzung des Don Giovanni zu überraschen. So dünn, wie die lattengestützten Wände aus Packpapier im Einheitsraum, auf die Karl-Heinz Christmann seine psychologisch stimmigen Farbspiele projiziert, mit über die ganze Aufführung bleibenden, Seelennarben veranschaulichenden Lücken und Rissen, die sich jeder Systematik des gelingenden Lebens und affirmativer bürgerlicher Glätte verweigern, auf denen Durchbrüche und Einbrüche sichtbar werden und die den „witzigen Ausweg“ (Ernst Bloch) aufzeigen- so brüchig erweisen sich die Dämme eindeutiger Zuordnungen und Selbstwahrnehmungen. Wenn dem kreuzbiederen Frauenversteher Don Ottavio für einen Augenblick Hand und Penis der Kontrolle entgleiten, das ganze Aggressionspotential sichtbar wird, das sich Luft und Lust verschaffen will. Aus vermeintlichen Antipoden werden Mischfiguren. Kraus widersetzt sich in bester Mozarttradition der Einteilung in Gute und Böse und nimmt dem (mitunter verunsicherten) Opernbesucher die Möglichkeit allzu simpler Identifikationen. Gerade dadurch erlaubt er ihm, vor sich selbst verheimlichte Anteile zu erkennen. Leporello wird gezeichnet als Möchtegern- Don Giovanni light, das Abgründige lauert hinter dünnen, vom Überich gestellten Wänden in Don Ottavio, der scheinbar nur skrupellose Frauenheld Don Giovanni zeigt Größe und gewinnt Sympathie, wenn er gegenüber dem faktisch übermächtigen, alles zu nivellieren drohenden Nichts des Todes seine Identität und Singularität verteidigt, im Letzten ein Mann, ohne Spur von billigem Hedonismus oder Adoleszenzverweigerung. Masetto, der scheiternde Mann der einfachen Lösungen, während seine Zerlina, alles andere als ein Bauerntrampel, die Träume vom guten Leben nie verrät. Donna Elvira zeigt die Zerrissenheit auf, in die Hörigkeit und masochistische Anteile führen, Donna Anna verschweigt Ottavios Schuld. Thomas Kraus beweist in der Besetzung eine glückliche Hand. Die Schönen und Schlanken und der mollige Unscheinbare, die alles Übertönenden und der mit der anmutigen, aber zurückhaltenden Stimme (Reto Raphael Rosin als Don Ottavio). Vorzüglich die Personenführung, Gesten, Drehungen, Standpunkte, alles macht Sinn, durchzogen von Witz und feiner Ironie. Mischform auch hier, eine Operninszenierung zum Lachen und zum ernsten Nachdenken, wie das Leben.

Zum Gelingen dieser Inszenierung tragen Bühnenbild, Videoeinspielungen und Lichteffekte sowie die Kostüme wesentlich bei. Wenn Karl-Heinz Christmann Leporellos Photoregister an die Wand wirft und eine Projektionsfläche für Donna Elvira entsteht, ihre Sehnsüchte und Selbstüberschätzungen. Das Bühnenbild von Thomas Dörfler, intelligent, dienlich, sparsam und dabei ästhetisch. Ein sich verjüngender Raum, wenn die Kassettendecke ins rechte Licht gerückt wird, erscheint das Schloss, Kronleuchter krachen hernieder, Frauen werden ganz groß, indem sie sich in den Hintergrund begeben und Lebemänner, scheinbar im Vordergrund, auf Normalmaß zurück gestutzt. Das Kontingente kann überall einbrechen, die Phantasie darf mitspielen, wenn aus eingerammten Degen Grabkreuze werden. Duelle, die ohne Degenromatik auskommen, weil der Contrepart jenseits der dünnen Wand kämpft. Kein Friedhofsgruseln, kein Gespensterklamauk, das Leben ist gespenstisch genug. Köstlich das letzte Abendmahl als Hommage an die Generation fast food. Ursula Beutler, der seinerzeit der Brand des La Fenice die erste Chance, den Don Giovanni auszustatten, vermasselt hatte, zeigt ihr ganzes hervorragendes Können. Dörfler gibt ihr den dienenden Rahmen, in dem die nuancierten, dezenten, Botschaften verstärkenden Farben der Kostüme, teils historisierend und damit gewollt ironisierend, teils heutig, voll zur Geltung kommen. Eine amüsante Augenweide! Wenn der blaugefiederte Racheengel Don Elvira einschwebt und einen zusammengeklappten, roten Ersatzflügel bereit hält, der von Amor geliehen zu sein scheint, um ihn dem Geliebten anzudienen. Um dann wieder einem Blasebalg zu ähneln, mit dem sie ihre Wut neu entfachen kann. Don Giovanni die Schnittstelle, in der das Spanien Don Juans und die Jetztzeit zusammen finden. Jeans und Grafenjacke. Don Ottavio ganz klassisch (für die alten Werte) und Masetto geschmacklos prollig wie ein Kowalski. Anzug und Krawatte als Arbeiterkarikatur.

Das Orchester unter Leitung von Uwe Sandner zeigt, wie man Mozart spielen muss. Es wird der Anforderung gerecht, ständig zu wechseln zwischen bukolischer Leichtigkeit, dann wieder seelenmalerischer Dramatik, kaum instrumentiertem Sprechgesang, fröhlichen Tänzen, entrückender Eindringlichkeit und d-Moll-Ouvertüre einer opera buffa. Technisch scheint das Orchester des Pfalztheaters durch Sandners Arbeit der letzten Jahre ausgereift, dem GMD gelingt es, der Musik Mozarts Seele einzugeben, dessen unergründlichem Geheimnis sich niemand entziehen kann.

Die Protagonisten: Tobias Scharfenberger strahlt in der Titelrolle aristokratische Distanz aus. Seine Schönheit wirkt gewollt unterkühlt und weist dadurch die in der Figur angelegten narzistischen Züge auf. Mit seiner kultivierten Stimme meistert er die Partie virtuos. Alexis Wagner macht mit seinem mächtigen und ausgereiften Bassbariton aus dem Komtur eine bewegende und gerade in der Schlussszene ins Innerste eindringende Gestalt. Barbara Dobrzanska überzeugt in der Rolle der Donna Anna. Ihr herrlicher Sopran beherrscht die lyrischen Partien ebenso wie die dramatischen. Eine Klangfarbe, die sich sofort einschmeichelt. Einmal mehr entzückt Adelheid Fink ihr Publikum. Nach ihrem Triumph in Bellinis Norma (Bericht auf opernnetz.de folgt bei der Wiederaufnahme im Oktober) nun als unglaublich präsente, ins Spielen verliebte und mit strahlender Stimme begabte Donna Elvira. Reto Raphael Rosin als Don Ottavio wunderbar linkisch, die Stimme überzeugt durch ihre sanfte Schönheit. Alban Lenzen in der Rolle des Masetto zeigt ein enormes Potential der Stimme. Dazu eine große komödiantische Leistung. Zu den umjubelten Protagonisten des Abends gehören Arlette Meißner als zauberhafte Zerlina und Morgan Moody, der perfekte Leporello. Arlette Meißner scheint wie geschaffen für Mozartpartien. Die Rolle der mobilen Braut füllt sie nicht nur mit unwiderstehlichem Charme, geballter Erotik, lausbübischem Augenzwinkern, sondern auch mit einer jubelnden Stimme aus, die längst die Enge der Soubrette hinter sich gelassen hat. Mozart hätte seine Freude während und nach der Vorstellung an ihr gehabt. Das Beste kommt am Ende: Morgan Moody. Seine Stimme hat Schönheit, Seele, Klangreinheit und Kraft. Die Interpretation des Leporello ist so in Beschlag nehmend, dass es selbst Don Giovanni nicht immer leicht hat, gegen ihn anzuspielen.

Alle Jahre wieder, wenn das Saisonpremierenpublikum meint, mit fünf Minuten Applaus das Prädikat donnernd verdient zu haben. Dafür konnte wenigstens die Abendgarderobe mit den wunderschönen Kostümen einer Ursula Beutler mithalten. Die wahren Freunde der Oper tauschten sich noch Stunden kontrovers aus, von heller Begeisterung bis ablehnendem Unverständnis. Wie schön, dass Kunst immer mit den Empfindungen des Betrachtenden zusammen hängt.

Frank Herkommer

 

 

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