Der  Neue Merker – Wien  - aus dem Netz am 1. 3. 2010-03-01

KAISERSLAUTERN: „DER FLIEGENDE HOLLÄNDER“, 27.2.2010 (Premiere)Diskutabel

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Wagners romantische Oper „Der fliegende Holländer“ zu interpretieren. Man kann sie als Geistergeschichte auf die Bühne bringen, aber auch als Psychogramm oder Gesellschaftstragödie deuten. STEFAN TILCH berücksichtigt in seiner diskutablen Neuinszenierung am Pfalztheater Kaiserslautern jeden dieser Aspekte. Die Variante Gespenstergeschichte wäre indes entbehrlich gewesen. Wenn zu Beginn Senta als verschleierte Geistererscheinung vom Himmel schwebt - dasselbe Gespenst stürzt sich am Ende auch zu Tode - und das Mädchen sich bei der Ballade ein weißes Laken überstülpt, um unheimlich zu wirken, so machte das eher einen albernen Eindruck. Diese Bilder störten ein wenig das ansonsten gut durchdachte, interessante Konzept.  

Nicht mehr neu ist Tilchs Sicht der Senta. Die Kaufmannstochter, deren reicher, geldgieriger Vater Daland hier auch eine norwegische Bank leitet, ist mit ihrer Umwelt unzufrieden. Sie fühlt sich eingeengt und will heraus aus ihrer trostlosen Umgebung, die von rechtem Kleinbürgertum - trefflicher Ausdruck dafür ist die von Bühnenbildner THOMAS DÖRFLER auf die Bühne gestellte Waschküche - geprägt ist. Sie sehnt einen Bräutigam herbei, der sie befreit. Schon jetzt arbeitet sie verbissen und unbeirrt an seinem Hochzeitsanzug. Sie will aus ihrer Enge erlöst werden, gleichzeitig aber auch selber erlösen. Da kommt ihr der attraktive, gut aussehende, geheimnisvolle Holländer gerade recht. Ihm hängt sie sich voller Mitgefühl an.  

Mit seiner Deutung der Titelfigur betritt der Regisseur dagegen Neuland. Hier ist der Holländer nicht verdammt, weil er einst erfolglos ein Kap umsegeln wollte und deswegen Gott geflucht hat. Vielmehr wurde er von einer Frau ins Verderben gestürzt, wahrscheinlich von derjenigen, deren  Bild er während des ausinszenierten Vorspiels mit Dart-Pfeilen bewirft. Er glaubt nicht mehr an ewige Treue, trotzdem sucht er sie. Wie lange er das schon vergeblich versucht, belegt die immer wieder in kurzen Bildausschnitten erscheinende vampyrhafte Frauenschar, die er in einem großen, länglichen Glasgebäude gefangen hält. Die Befindlichkeiten seiner treulosen Ex-Geliebten sind sehr wechselhaft. Erst hadern sie verzweifelt mit ihrem Schicksal, dann feiern sie eine ausgelassene Sektpartie. Der Holländer ist hier nicht unsterblich, er glaubt nur, es zu sein. Am Ende überlebt er, wird aber von Senta in ein besseres Leben erlöst. An seine Stelle als Opfer einer unerfüllten Liebe tritt Erik, dessen Zeichnung als wenig charismatischer Miniatur-Holländer sich durch das ganze Stück hinzieht. Dieser Gedanke ist nicht einmal so abwegig. Beide Gestalten, Erik und der Holländer, sind sich ähnlich, beide haben ein Bild von ihrer Geliebten, beide begehren ewige Treue. Auch Erik findet sich in der Gesellschaft der Seeleute und Kaufmänner nicht zurecht. Er wird, nur weil er anders ist, von seiner Umwelt schief angesehen und verspottet. Auch er will aus dem System aussteigen. Seine Flucht in die Verdammnis ist somit nur konsequent.

 

Am Pult legte sich TILL HASS mächtig ins Zeug und animierte das gut aufgelegte Orchester zu beherztem, kräftigem Spiel. Indes setzte er oft zu sehr auf reine Lautstärke. Etwas mehr sensible Zwischentöne wären schön gewesen. So fehlte seinem Dirigat eine doch sehr wesentliche Dimension. ANDREAS MACCO ist der absolut beste Holländer, den ich seit langem gehört habe. Der junge Sänger verfügt über einen ungemein kräftigen, gleichzeitig aber auch sehr feinfühligen, wohlklingenden Bariton, den er mit viel Raffinesse und Eleganz einzusetzen wusste. Angesichts des von ihm im Übermaß verströmten Wohlklanges wurde wieder einmal deutlich, dass man auch Wagner mit schöner italienischer Technik singen muss. Das war wahrlich eine Bayreuth-würdige Meisterleistung. Diesem phantastischen Bariton steht die ganz große Karriere bevor. Es wäre interessant, ihn einmal im italienischen Fach zu hören. Ungemein kräftiges und markantes, gut focussiertes Stimmmaterial brachte auch STEFFEN SCHANTZ für den Erik mit. Hier wächst ein ausgezeichneter Heldentenor nach, den diese Zeit so dringend braucht. Auch er erwies sich der größten Häuser als würdig. Einen zwiespältigen Eindruck hinterließ ADELHEID FINK als Senta. Sie geriert sich als dramatische Sängerin, ohne eine solche zu sein. Gut gelangen ihr die Stellen, wo sie leise und lyrisch singen konnte. Bei den dramatischen Forte-Ausbrüchen verlor ihr an sich nicht unangenehmer Sopran aber an Körperfülle und nahm einen ziemlich harten und schrillen Klang an. Ob sich Frau Fink mit dieser Partie einen Gefallen getan hat, ist zu bezweifeln. Meiner Ansicht nach sollte sie bei den mehr lyrischen Rollen bleiben. Da ist sie besser. Ein solider Daland war MICHAEL DRIES. Laut, aber ohne großen Tiefgang sang HANS-JÖRG BOCK den Steuermann. Solide war SUSANNE SCHIMMACK als Mary. Ein Extralob gebührt dem ungemein intensiv singenden Chor.  

Fazit zum Schluss: Eine durchaus sehenswerte Aufführung. Das diese vor dem zweiten Aufzug einmal aufgrund einer technischen Panne kurz unterbrochen werden musste, war schade.

 

LUDWIG STEINBACH