AIDA
Staatstheater Darmstadt
Besuchte Vorstellung: 10. September 11 (Premiere)

 

Wenn die Zuschauer feuchte Augen bekommen, dann haben es diejenigen auf der Bühne wohl mehr als richtig gemacht. So auch jetzt, bei der Premiere von Elton Johns und Tim Rices Musical AIDA, das die tragische Liebesgeschichte zwischen dem ägyptischen Heerführer Radames und der nubischen Prinzessin Aida erzählt.

Doch der Reihe nach. Nach seiner deutschsprachigen Erstaufführung im Essener Colosseum Theater tourte das Stück zunächst durch die Republik und wurde zuletzt mehrfach bei Freilichtfestspielen inszeniert. Inzwischen sind die Aufführungsrechte auch für Stadttheater erhältlich und das Staatstheater Darmstadt zeigt zeitgleich mit der Oper Chemnitz die berühmte Liebesgeschichte, die nicht zuletzt durch Verdis gleichnamige Oper bekannt ist.
Auch wenn für eine Longrun-Produktion selbstverständlich ein wesentlich aufwendigeres Bühnenbild genutzt werden kann, als für eine Stadttheaterproduktion, wo jeden Abend ein anderes Stück gegeben wird, braucht sich das Bühnenbild von Thomas Dörfler, wie auch die gesamte Inszenierung, nicht hinter der Essener Großproduktion zu verstecken. Ganz im Gegenteil. In Darmstadt besticht einfach alles: neben den großartigen Optiken hinsichtlich Bühnenbild und Kostüme auch die Darsteller, die großen Ensemble- und Tanzszenen und die präzise Personenführung seitens der Regie von Johannes Reitmeier.

 

Obwohl es gar nicht so viel Kulissen und Requisiten gibt, schaffte das Inszenierungsteam mit gut gemachten Bild- und Videoprojektionen den Zauber des alten Ägypten mit seinem Pharao, seinem Palast und den Pyramiden aufleben zu lassen. Die an sich leere Bühne ist eingerahmt von goldenen Quadern, im Mittelpunkt steht eine goldene, große und zweigliedrige moderne Stahltreppe. Vitrinen der Eröffnungsszene werden umgelegt, gleichzeitig als Boot für die Fahrt von Nubien nach Kairo genutzt. Die Pharaonentochter Amneris residiert auf einer modernen, goldenen Wellnessliege. Wie Gold generell die Farbe der Inszenierung ist, aus der natürlich auch das Portal des Pharaonenpalastes besteht (die einzig wirklich große Kulisse der Inszenierung).
Für diese Inszenierung verpflichtete das Staatstheater Darmstadt für die Besetzung der Hauptrollen Gäste. Der Deutsch-Amerikaner Chris Murray war hier bereits bei Webbers/Rices Musical „Jesus Christ Superstar“ engagiert. Bei AIDA spielt er erstmals den Radames. Und scheint ob seiner schier vor Kraft berstenden Rockstimme fast ein wenig unterfordert. Einen ersten Zwischenapplaus kann er schon bei seinem ersten Lied („Wer viel wagt, der gewinnt“) für sich verbuchen. Doch glänzt er auch im Piano, wie bei „Von einem Traum entführt“, kurz bevor er gemeinsam mit Aida unter dem Sand Ägyptens versinkt und ist stets sehr gut zu verstehen. Als AIDA erzaubert Dominique Gref mit viel Anmut und glaubhafter Entwicklung der sorglosen Prinzessin zur zwischen der Liebe zu Radames und zu ihrem Volk hin und her Gerissene. Überaus erfrischend und mit guter Laune ansteckend: die Amneris der Sigrid Brandstetter. Amneris ist ja die unglückliche Dritte, doch beweist sie am Ende trotz des Verrats große Gefühle. Ihre größte Nummer ist „Mein Sinn für Stil“, bei der bei der Essener Produktion einst ein großer Swimmingpool beeindruckte. Hier geht es ein klein wenig nüchterner zu, mit einem Clou wartet man aber auch hier auf. Die Modenschau wird von den männlichen Tänzern in exquisiten Frauengarderoben vorgeführt (für ein i-Tüpfelchen hätten sie allerdings auch Highheels tragen können). Die Nummer kommt groß an. Randy Diamond gibt einen diabolischen und energetischen Zoser. Großartig seine Kampfszene mit Radames, bei der die Bühne in ein blaues, nächtliches Licht getaucht ist („Wie Vater, so Sohn“). Ensemblemitglied Andreas Wagner gibt einen erwachsenen Mereb, klangschön, allerdings hört man hier im Unterschied zu den Gastmusicalsängern, seinen Opernstil ein klein wenig heraus.

 

Schauspielerisches Können und eine starke Präsenz zeichnet das gesamte Ensemble aus. Zumal das 3-Sparten-Haus auch jeweils fünf Damen und Herren vom Ballett für diese Produktion eingebunden hat, wodurch die Tanzszenen deutlich aufgewertet sind. Allerdings hatte Choreografin Anthoula Papadakis den Grußspruch „Hals und Beinbruch“ zu wörtlich genommen, zwei Tage vor der Premiere wurde ihr rechtes gebrochenes Bein operiert (weshalb sie beim Schlussapplaus im Rollstuhl auf der Bühne erschien).
Viel Aufwand wurde in die Kostüme (Kostüme: Michael D. Zimmermann) für das große Ensemble gesteckt, sei es bei denen für das ägyptische Volk, für die große Garde von Amneris Beautytempel (alle in Handtücher eingewickelt) oder die Schergen Zosers (in strengen Uniformen). Die im Programmheft nicht näher genannten Musiker spielten unter der Leitung von Vladislav Karklin einen satten Sound, der die Musik Elton Johns unter die Haut gehen ließ.

 

Da laut Programmheft die Dekorationen und Solisten-Kostüme in den Werkstätten des Pfalztheaters Kaiserslautern gefertigt wurden, wird diese Inszenierung wohl in einer der kommenden Spielzeiten auch dort zu sehen sein. Zunächst kann sich das musicalfreudige Publikum aber an der Darmstädter Inszenierung laben.

 

 

Markus Gründig, September 11