DIE RHEINPFALZ — NR. 294        MONTAG, 19. Dezember  2011

 

VON FRANK POMMER


Gesamtkunstwerk Theater:

Die jüngste Pfalztheater-Musikproduktion ist zu groß für jede Schublade.
Der Orff-Doppelabend mit „Carmina Burana“ und „Astutuli“ verweigert
sich jeder Spartenzuordnung, ist Schauspiel, Ballett, Oper und Oratorium
zugleich. Und weil man schon mal dabei war, quasi das
komplette künstlerische Personal zu präsentieren, wurden Teile des
Leitungsteams gleich mit inszeniert – inklusive des Intendanten.
In langen Unterhosen.

Am Ende von Carl Orffs eigenwilligem „Bairischem Welttheater", in
dem sich Solisten wie Chor tapfer mit dem bajuwarischen Idiom herumgeschlagen
hatten und die Übertitelungsanlage allenfalls eine pfälzische Nachdichtung, keine Übersetzung
bot, am Ende also dieses derbhandfesten Volkstheaterspaßes, in
dem wir uns schenkelklopfend lustig gemacht haben über die Schildbürger
auf der Bühne, fährt einem der Schreck in die Knie. Vielleicht sind ja
doch wir gemeint? Frei nach „Des Kaisers neue Kleider“ haben die
Spießbürger auf der Bühne gerade nicht nur ihre Kleider, sondern zugleich
auch ihre Würde verloren, da schreit uns Bürgermeister Zaglstecher
völlig aufgelöst entgegen, wir mögen erstens aufhören zu lachen
und zweitens doch bitteschön die verloren gegangene Kleidung, also
die (Menschen)Würde, wieder zurückgeben.


Doch wir hatten es uns gerade in unserer Schadenfreude so richtig
schön bequem gemacht. Es ist aber auch eine Gaudi, nicht nur den Intendanten
und Regisseur Johannes Reitmeier
, sondern beispielsweise
auch den Ausstattungsleiter Thomas Dörfler, der einen
ganz großartigen, brüllend komischen Bürgermeister spielt
, sowie
Michael Krauss, den Vorsitzenden der Freunde des Pfalztheaters, in Unterhosen
zu sehen. Doch der Spaß wird ziemlich ernst. Denn am Ende
sind eben auch wir die Gefoppten, die Verführten, vorgeführt von dem
Schausteller, der im Stück nur der „Gagler“, also der Gaukler heißt.
Auch wir sind ihm auf den Leim gegangen. Reingefallen, genasführt
von einem grandios spielenden Stefan Kiefer, der in Pfalztheater-Legende
Geertje Nissen eine wunderbare Gehilfin hat.


Vielleicht ist man ja von dem archaischen Sprechgesang des von Ulrich
Nolte vorbereiteten Chors auf eingelullt worden. Roger Boggasch
hat dazu mit einem reinen Schlagwerk-Orchester (Trompete und
Tuba hat man in Kaiserslautern weggelassen) für die rhythmische
Grundlage gesorgt. Die war dann auch im zweiten Teil des Abends,
bei den viel berühmteren „Carmina Burana“, vonnöten.
Boggasch hatte nun das ganze Pfalztheaterorchester vor sich auf
der Bühne aufgebaut, der Chor durfte endlich auch richtig aussingen
und Ballettchef Stefano Giannetti entwickelte Choreographie und Inszenierung
aus einem Varese-Gemälde heraus, das Lorenzo di Medici
zeigt. Renaissance statt Mittelalter also, und nun griffen die verschiedenen
Räder der Sparten ineinander, um aus der Orff-Kantate ein Gesamtkunstwerk
zu machen. Allerdings knirschte es dabei auch
ein wenig. Chor und Orchester waren nicht immer exakt zusammen,
der Bariton Daniel Böhm, der den größten Solopart zu stemmen hatte,
war von einer Krankheit so gezeichnet, dass er den Schlussapplaus
kaum noch durchstand (die anderen Solisten: Susanne Pemmerl, Sopran,
und der Tenor Peter Floch). Gefeiert wurden vor allem die Tänzer des
Pfalztheater-Balletts, die den kurzfristigen Ausfall ihrer Primaballerina
Letizia Cirri zu verkraften hatten. Giannettis Truppe tat dies mit Bravour!

 

 

 

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