Eiszeiten und Wärmebilder

Wie ernst Neuintendant Johannes Reitmeier sein Publikum nimmt, zeigt sich bereits in der Wahl der Saisonpremiere in Innsbruck: Eine Hommage an Tirol, der Schauplatz des Alpendramas keine neunzig Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Eine Welt, deren erhabene Schönheit, aber auch kristalline Härte den Menschen vertraut ist, wo vergleichbare Schicksale wie das der Geierwally noch erinnerbar sind. Welchen Glücksgriff das Landestheater mit Reitmeier auch als Regisseur gemacht hat, wird schnell ebenso ersichtlich wie der Grund, warum er auf seinen langjährigen Bühnenbildner Thomas Dörfler vertraut. Dörfler zählt zu Recht zu den besonders kreativen und intellektuell versierten Bühnenbildnern unserer Zeit. Bereits in Bayern und am Pfalztheater in Kaiserslautern sorgte die Zusammenarbeit der beiden für das, was sich nun auch Innsbruck erhoffen darf: Ausverkaufte Häuser und begeisterte Besucher. Gerade weil Reitmeier einen grundsätzlichen Respekt vor den Stücken empfindet, deren Schönheit und Tiefe hervorzuheben ihm das Anliegen ist, weil er den Zugang eröffnet und nicht mit oberflächlichen Aktualisierungen verstellt, weil er die Menschen verzaubern und berühren möchte, indem er die Geschichte erzählt und sich erzählen lässt, braucht und benutzt er die Magie der Bilder. Die verdichten, nicht die äußere oder innere Handlung überladen oder überwuchern. Selten sieht man ein so variables, künstlerisch ansprechendes und kommunikativ offenes Bühnenbild. Weil der Zuschauer eingeladen wird, mit seiner Phantasie Räume fortzuschreiben, seelische, soziale und landschaftliche. Alle Möglichkeiten der Drehbühne werden genutzt. Eine Raumaufteilung, die von einem Augenblick zum anderen in eine andere Welt führt. Die zumachen und bedrängen kann, die Seitenwege offenlässt, um dann Höhe und Weite, Drinnen und Draußen auch im Sinne der Identität und der Veräußerung anzuzeigen. So vielschichtig wie das Leben im Allgemeinen und die Liebe im Besonderen ist, so auch die Ebenen in diesem Bühnenbild. Dessen Metaphorik ist evident, wenn Treppen einmal Wally, dann Gellner obenauf sehen. Wände, die von Verbohrtheiten und Unbeweglichkeit erzählen. Mit einem eisblauen Horizont, der keinen Himmel offen lässt, der die Seinsverfügung des Individuums an seine natürlichen Grenzen führt. Kalt, eiskalt geht es zu, das Pandämonium des Volkes ist die Unerbittlichkeit, Hohn und Häme. Reitmeier gelingt es, jeden Eindruck eines cineastischen Déjà vu zu vermeiden, kein Heimatstück fürs Stadl wird gegeben, eher griechische Moira, die auf ihrem Recht besteht. Dennoch mitten im Eis Wärmebilder, die erzählen, wie es nicht ist, aber sein könnte. Das Bett im Eisfeld, das von einer anderen, tragisch Gescheiterten erzählt.

Die strengen und angemessenen Kostüme aus der Hand von Michael Zimmermann zeugen von Respekt und Ästhetik. Zimmermann widersteht der Versuchung der Volkstümelei und führt mit der Authentizität seiner Trachten in die Entstehungszeit der Oper. Die gehörnten Zottelgeister erinnern halb an Yeti, halb an Figuren aus der alemannischen Fasnet. Johann Kleinheinz setzt die Vorgaben Reitmeiers vorzüglich um, wenn er mit seinen Lichtspielen Psychogramme und Seelenlandschaften erstellt. Die Videoeinspielungen hat der Regisseur dem längst weit über die Pfalz hinaus gefragten Kaiserslauterer Karl-Heinz Christmann anvertraut. Aufnahmen von großer Naturschönheit und Suggestivkraft.

Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck ist von Alexander Rumpf meisterlich auf die Musik von Alfredo Catalani eingestellt. Wie schade, dass diese Oper so selten aufgeführt wird. Große Gefühle, die aus der Musik sprechen, Tragik und Zärtlichkeit. Man muss nicht wissen, wer die Oper geschrieben hat, um auf Anhieb den Italiener heraus zu hören. An diesem Abend darf Kapellmeister Vito Christofaro das Dirigat ausüben, mit gutem Erfolg. Der Chor, einstudiert von Michel Roberge, singt sehr harmonisch, die Ansprüche an Gesang und Spiel sind hoch und man spürt, wie begeistert sich die Frauen und Männer der Herausforderung stellen. Wer den Intendanten bei Proben erlebt, weiß, wie sehr er motivieren kann.

Zu einer Belcantooper gehören Belcantostimmen. Reitmeier findet sie. Vier Stimmen ragen aus einem insgesamt hohen Ansprüchen genügenden Ensemble hervor: Jennifer Maines entzückt das Publikum in der Titelrolle. Jede Geste sitzt, ihr Körper verstärkt mit seiner Haltung die Botschaften, eine Stimme, die auch latente Gefühle vermittelt. Technisch ausgereift, nuanciert, klangschön, von großem Umfang, dramatisch wie lyrisch. Bernd Valentin ein Gellner, dessen Obsession spürbar wird, der mit seiner Rolle verschmilzt, in dessen Seele man lesen kann, der über eine außergewöhnliche Klangfarbe und Ausdruckskraft seiner Baritonstimme verfügt. Bejubelt für ihre Hosenrolle wird Sopranistin Sophie Mittenhuber, die Walter, den omnipräsenten Schatten Wallys spielt und singt. So viel emotionale Kraft, die ihre schöne Stimme vermittelt. Paulo Ferreira glänzt als Hagenbach, sein kraftvoller Tenor verfügt über große Ausstrahlung und Weite. In den weiteren Rollen überzeugen Marc Kugel als Stromminger, mit dem Mut, ihn bärbeißig und abstoßend zu interpretieren, Melanie Lang als entzückende Afra, die man lieben könnte, sowie Johannes Wimmer als differenzierter Soldat.

Man weiß sich zu kleiden in Innsbruck. Das Publikum fein, das Haus ausverkauft, die Gespräche auf hohem Niveau und wohlwollend. Der Applaus brausend. Innsbruck weiß jetzt schon, dass eine neue Ära eingeläutet ist.

Frank Herkommer


Österreichischer Musiktheaterpreis 2023 für "Die Passagierin" am Tiroler Landestheater!
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