— NR. 219  MONTAG, 21. SEPTEMBER 2009

 

 

 

Die zwanghafte Jagd nach dem Glück

Pfalztheater Kaiserslautern: Schauspieldirektor Thomas Krauß inszeniert mit Mozarts „Don Giovanni" zum ersten Mal eine Oper - Das Ergebnis überzeugt


Von Sigrid Feeser


Zur Eröffnung der Spielzeit 2009/10 ist Mozarts „Don Giovanni" nach mehr als zehn Jahren Abwesenheit ans Pfalztheater Kaiserslautern zurückgekehrt. Schauspieldirektor Thomas Krauß überzeugt in seiner ersten Operninszenierung durch intensive Personenführung. Und vom Orchestergraben aus sorgt Generalmusikdirektor Uwe Sandner für das Wichtigste: ausgewogene Ensemblearbeit, an der Solisten, Chor und Orchester gleichermaßen Anteil haben.


Es war der Dichter-Musiker E.T.A. Hoffmann, der Mozarts „Don Giovanni" zur Oper aller Opern ernannte. Ein Rätsel ist sie bis heute geblieben. Was da genau passiert? - Niemand weiß es wirklich. Was ist geschehen im nächtlichen Gemach der Donna Anna? Welchen Anteil hat die kokette Zerlina an der Katastrophe? In wessen Namen wird der Bösewicht am Ende in die Hölle geschickt? Und was fangen wir heute mit einem dualistischen Weltbild an, das alles vordergründig in Gut und Böse scheidet? All diese Fragen zeigen: Die Oper „Don Giovanni" ist ein wunderbares Trampolin für Regisseure, die sich auf dem dicht besetzten Feld der Vermutungen eine komfortable Parzelle sichern möchten.


In Kaiserslautern hat man sich für die Prager Urfassung von 1787 entschieden. Thomas Krauß und seine Ausstatter Thomas Dörfler (Bühne) und Ursula Beutler (Kostüme) präsentieren eine von Deutungshubereien erfrischend unabgelenkte, maßvolle Tragikomödie, deren größtes Plus das nahtlose Zusammenspiel von Bühnenraum und Aktion ist. Aktualisierungen (ebenfalls maßvoll) gibt es eigentlich nur bei den zwischen 18. und 21. Jahrhundert changierenden Kostümen.


hrend der Ouvertüre fällt Schnee, und man darf zusehen, wie das Bühnenbild sich allmählich zusammenbaut. Zielpunkt der zunächst rätselhaften Raumbildungsmaßnahmen ist eine klassische Perspektivbühne, eine leere Schachtel, die sich mit schönem Theaterplunder füllt. Türen öffnen und schließen sich, Vorhänge wehen, der gemeuchelte Komtur bricht als alter Zausel durchs Packpapier, Schwerter werden in den Bühnenboden gerammt. Donna Elvira schwebt als gerupfter Schmetterling auf der Schaukel vom Bühnenhimmel, Don Giovanni bereitet sich, unter einem riesigen Kronleuchter hängend, auf seine „Champagnerarie" vor. Die Bauern sind als Feuerwehrleute kostümiert. Aber was soll da eigentlich gelöscht werden? Und während die Regie die Protagonisten auf ihrer zwanghaften Jagd nach dem Glück durcheinanderwirbelt, wird der Bühnenraum zum Kunstraum der Leidenschaften, der gleichzeitig möbliert und zerstört wird. Am Ende setzt wieder Schneetreiben ein. Don Giovanni tritt seine Höllenfahrt an. Ratlos bleiben die sechs Überlebenden, die Hände an eine unsichtbare Wand gepresst, zurück.


Für eine solche Inszenierung braucht es junge, agile Sänger. Und die hatte man in Kaiserslautern. Allen voran Tobias Scharfenberger in der Titelpartie, mehr Diskotheken-Strizzi als schwerer Held, beweglich agierend im Sog der Hemmungslosigkeit. Dann Don Ottavio, den Reto Raphael Rosin als blutleeren Männchen-Typus gibt, und Morgan Moody, der ein komödiantisch differenzierter Leporello ist. Alban Lenzen agiert als brummiger Masetto. Und auch der zuverlässig aus dem Off orgelnde Komtur von Alexis Wagner darf nicht vergessen werden. Bei den Damen: engagierte Liebhaberinnen, die mit ihren vokalen Pfunden wuchern. Barbara Dobrzanska bewältigt souverän die dramatische Partie der Donna Anna; Adelheid Fink ist für die nervös hantierende Donna Elvira die richtige Besetzung. Und als süß zwitschernder kleiner Fratz, der es faustdick hinter den Ohren hat, gefiel Arlette Meißner als Zerlina sehr.


Generalmusikdirektor Sandner hat sich an die Kapellmeistertradition erinnert, dass der Dirigent auch die Rezitative zu begleiten habe. Er tut das mit zurückhaltender Umsicht, nimmt es auch beim Dirigieren sehr genau. Das heißt: Das Orchester bleibt immer aufmerksam. Auf jeden modischen Schnickschnack wird klug verzichtet: Es gibt also keine überzogenen Tempi, keine forcierten Akzente oder unvermittelt lospladdernde dynamische Ausbrüche. Das Ergebnis ist tadellose Ensemblearbeit. So etwas ist heutzutage nicht gerade die Regel. Deshalb und sowieso: Chapeau!

 

 

 

 

 

 

DIE RHEINPFALZ