Die Fackel der Liebe in düsterer Zeit

Zwischen Expressionismus und Langs „Metropolis": Intendant Johannes Reitmeier inszeniert Korngolds „Das Wunder der Heliane" am Kaiserslauterer Pfalztheater


Von Frank Pommer


Das Pfalztheater Kaiserslautern setzt seine Reihe mit vergessener Musik des 20. Jahrhunderts erfolgreich fort: Am Samstag hatte Erich Wolfgang Korngolds Oper „Das Wunder der Heliane" Premiere. Die Regie von Intendant Johannes Reitmeier rettete die krude Handlung für unsere Zeit - und schuf einen bildmächtigen Rahmen für Korngolds grandiose Musik. Die war bei Generalmusikdirektor Uwe Sandner bestens aufgehoben, abgesehen von einigen sängerischen Eintrübungen.


Das Wunderkind und die Moderne: Wer in Erich Wolfgang Korngold nur den Frühvollendeten, von den Nazis vertriebenen und zum Hollywood-Komponisten degradierten Musiker sieht, der verkennt den musikhistorischen Rang des 1897 in Brünn - dessen Nationaltheater Partner des Pfalztheaters bei dieser Koproduktion ist - geborenen Sohn des mächtigen Wiener Musikkritikers Julius Korngold. Das musikdramatische Werk Korngolds darf für sich in Anspruch nehmen, ebenso wie die Opern Bergs und Schönbergs einerseits, Strauss" und Puccinis andererseits auf Augenhöhe mit seiner Entstehungszeit zu sein. Anders gesagt: Wer in Korngold nur den Filmkomponisten und Kitschproduzenten sieht, hat keine Augen und Ohren für den Expressionisten. In Kaiserslautern kann ihm beides geöffnet werden, nicht nur dank Johannes Reitmeiers Regie, sondern auch aufgrund eines faszinierenden Bühnenbildes von dessen Brünner Intendantenkollegen Daniel Dvorak (die Kostüme im Stile der 1920er stammen von Thomas Dörfler).


1927, im Uraufführungsjahr der „Heliane", kam auch Fritz Langs „Metropolis" in die Kinos. An der Ästhetik dieses cineastischen Meisterwerkes ist auch Reitmeiers Inszenierung geschult - bis hin zur Figur der Botin (mit großer stimmlichen und darstellerischen Präsenz: Silvia Hablowetz), die der Maschinenfrau in „Metropolis" nachempfunden ist. Überhaupt weist die Oper viele Parallelen zum Film auf. Es geht um den Konflikt zwischen Natur und Maschinenwelt, um die Unterdrückung des modernen Menschen durch eine grausame, kalte Industriegesellschaft, in der er nur als Arbeitstier benutzt wird. Liebe, Gefühle, Träume, Wärme, Mitleid haben in dieser Welt keinen Platz mehr. Ein grausamer Herrscher bestimmt das Leben seiner geschundenen, entrechteten, vergewaltigten Untertanen.


Hier schlägt die Stunde der selbst ernannten Messiasfiguren. Der im Leid verstrickte, im Elend unentrinnbar verfangene Mensch sehnt sich nach dem Erlöser. Das können die Wandervogel-Prediger ebenso sein wie die so genannten Inflationsheiligen der 20er Jahre, die uns auch im Neuen Menschen des Expressionismus begegnen können, den Korngolds bisweilen enthusiastische Musik feiert.


In Korngolds Oper übernimmt der Fremde - außer der Titelfigur bleiben alle Personen wie in vielen expressionistischen Dramen namenlos - diese Erlöser- und Messiasfunktion. Er bringt die Fackel der Liebe in das ewige Dunkel im Reich des Herrschers. Vor allem in Heliane entzündet er ein Feuer der Begeisterung, das jenes Wunder am Ende der Oper erst ermöglicht. Reitmeier lässt seinen Fremden Flugblätter verteilen mit naiv humanistischen Botschaften von Liebe und Freundschaft. Norbert Schmittberg verleiht der Figur darstellerisches Profil. Stimmlich dagegen muss man fast von einer Fehlbesetzung sprechen: zahlreiche misslungene Spitzentöne, verzweifelt scheiternde Versuche, sich ins Falsett zu retten, und intonatorische Ungenauigkeiten in quasi jeder Pianopassage lassen leider kein anderes Urteil zu. Wenn man Schmittberg als Parsifal an seinem Stammhaus in Darmstadt erlebt hat, kann man sich diese Leistung eigentlich nicht erklären - es sei denn, es wurde versäumt, eine Indisponiertheit anzukündigen.


Unter Schmittbergs sängerischen Defiziten leidet auch das mit Emphase und Pathos angefeuerte Finale der Oper, wenngleich eine wunderbare Sally du Randt in der Rolle der Heliane für vieles entschädigt. Ihre Leistung ist darstellerisch, vor allem aber sängerisch sensationell. Reitmeier findet für die fragwürdige Auferstehungsszene des Finales eine im Grunde zutiefst christliche Lesart: Aus den zurückbleibenden leiblichen Hüllen lösen sich die Seelen der beiden Hauptfiguren, um in ein jenseitiges Reich der Liebe einzuziehen. Zurück, im Diesseits, bleibt der Herrscher (mit mächtiger Stimme und bisweilen grenzwertiger Textverständlichkeit: Derrick Lawrence). Hier wird Korngold beim Wort genommen: „Die der Liebe sind, sind nicht des Todes."


Für diese Botschaft hat der Komponist eine Musik geschaffen, die tonalen Raum ausschreitet, dessen Grenzen aber nie überschreitet. Sie schillert in allen Farben, ist, zugegeben, mitunter von einer Süffigkeit, die an der Kitschgrenze knapp vorbeischrammt. Vor allem aber ist sie von einer nachgerade überwältigenden Wirkung. Uwe Sandner und das Pfalztheaterorchester bewältigen nach kleineren Anlaufschwierigkeiten im ersten Akt diese Aufgabe mit Bravour, es geht eine Art Sogwirkung von der Musik aus, der man sich nicht entziehen kann. Alles in allem also eine erfolgreiche Fortsetzung der spannenden Reihe mit vergessener Musik des 20. Jahrhunderts, an der Alexis Wagner als Pförtner und Hans-Jörg Bock als Schwertrichter ebenso ihren Anteil haben wie der Chor des Hauses.