Das Opernglas 6/2008

KAISERSLAUTERN

Flammen

Nach einer Neuinszenierung von

Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“ im

Februar dieses Jahres (siehe OG

4lzoo8ist Erwin Schulhoffs musika-

lische Tragikomödie >Flammen< das

zweite, im Dritten Reich als ,,ent-

artete Musik" diffamierte und spä-

ter in Vergessenheit geratene Opern-

werk, das lntendant Johannes Reit-

meier auf den Spielplan der lau-

fenden Saison des Pfalztheaters

Kaiserslautern gesetzt hat. Hat sich

allerdings Kreneks schrille Oper

um den schwarzen Jazzgeiger Jon-

ny in den letzten beiden Jahrzehn-

ten mit mehreren Neuproduktio-

nen eine recht rege Rezeptionsge-

schichte aufgebaut, so blieb „Flam-

men“ bisher nach wie vor eine Ra-

rität im Repertoire der Opern-

häuser. Dass das derart schillern-

de, unkonventionelle Stück über

den alternden Don Juan durchaus

das Potenzial zum Opernerfolg be-

sitzt, stellte nun die mit Ovationen

gefeierte Premiere am Pfalztheater

nachdrücklich unter Beweis.

Erwin Schulhoffs tragikomisches

Werk beginnt da, wo Mozarts >>Don

Giovanni<< endet. I n der Vertonung

des knifflig subtilen, nach einer Vor-

lage des tschechischen Surrealis-

ten Karel Josef Benes verfassten Li-

brettos von Max Brod verweigert

Schulhoff seinem Don Juan die

wohlverdiente Höllenfahrt. Dieser

Verführer ist dazu verflucht, rastlos

und ohne Hoffnung als von seinen

Trieben Gefangener durch die Welt

zu irren. Wie der ,,Fliegende Hollän-

der" ist er auf der Suche nach wach-

rer Liebe. Zu finden glaubt er die-

se bei jener mysteriösen Frauen-

gestalt, die sich ,,La Morte" nennt.

Doch auch der Tod bleibt Don Juan

verwehrt: In der surrealistisch an-

mutenden Mozart-Persiflage des

dritten Teils verdammt ihn der

Komthur zum ewigen Leben. r93z

war das Werk am Landestheater in

Brünn in tschechischer Sprache ur-

aufgeführt worden; es sollte Schul-

hoffs einzige Oper bleiben. Der jü-

dische Komponist starb 1942 mit

48Jahren im bayerischen Konzen-

trationslager Wülzburg.

Sein sarkastischer Totentanz, der

nicht selten an die Avantgarde von

Prokofews >Der feurige Engel.. er-

innert, ist ein berauschender Sin-

nesreigen der auf die vielfältigsten

musikalischen und dramaturgi-

schen Stilmittel der damaligen Zeit

zurückgreift: die Neue Sachlichkeit

der 20er-Jahre, den üppigen Klang-

rausch von Franz Schreker, die

sehnsüchtige Transparenz von

Richard Strauss, das Groteske von

Prokofjew und die Nüchternheit

der Zweiten Wiener Schule, dazu

die Einflüsse der Commedia dell'ar-

te, wie sie auch Walter Braunfels in

seiner Oper >>Prinzessin Brambil-

la< großartig verflochten hat. Das

Stück schwankt zwischen Emo-

tionsrausch, Gefühlskälte und Sar-

kasmus. Musikalisch kommt das

in der lodernden, besessenen In-

terpretation von GMD Uwe San-

ders am Pult des Orchesters des

Pfalztheaters vollkommen zur Gel-

tung. Mit seinem Dirigat unter-

strich er mit der nötigen Sensibi-

lität das Neutönerische in der Par-

titur, das Schrille und Ungebän-

digte, feilte mit sehr viel Akribie die

französisch anmutenden Holzbla-

ser heraus und setzte mit dieser

sehnsüchtig aufschreienden, glit-

zernd farbigen Musik nachhaltige

lmpulse.

Homogen und mit vielen stimm-

lichen Höhepunkten überzeugte

auch das Sängerensemble: Doug-

las Nasrawi sang die teuflisch

schwierige, unbequem hohe Te-

norpartie des Don Juan mühelos,

gab dem Titelhelden scharfe Kon-

turen und setzte mit seiner ein-

dringlichen, metallischen Stimme

dramatische Akzente. Schwach-

punkt des Sängers hingegen ist das

etwas sperrige, matte Timbre sei-

nes Tenors. Anna Maria Dur sang

die Rolle von ,,La Morte" mit ihrem

voll strömenden, knisternden Mez-

zosopran, Silvia Hablowetz die Par-

tien der Frau, der Nonne und der

Donna Anna mit charaktervollem,

ausdruckskräftigem Sopran, Adel-

heid Fink die Margarethe mit rei-

nem, lyrischem Ton. Alexis Wagner

strotzte nur so mit seinem Bass als

mächtiger Komthur.

,,Seufzt er oder lacht er)", heißt

es immer wieder in Bezug auf den

Titelhelden. Und gerade diese Zwie-

spältigkeit hat der Regisseur Urs

Häberli mit seiner fesselnden Per-

sonenregie und im nüchternen, ge-

schmackvollen und unglaublich

vielsagenden Dekor von Thomas

Dörfler sowie den Kostümen von

Ursula Beutler zum Ausdruck ge-

bracht. Häberlis Manier ist zugleich

poetisch, nachdenklich, humor-

und fantasievoll. Sie setzt das un-

endlich Sehnsuchtsvolle an Don

Juan in den Mittelpunkt der lnsze-

nierung. Die Figur der Margarethe

wird zu einer Don Juan mit ihren

langen blonden Haaren umschlin-

genden Melisande, ,,La Morte" zu

einer bleichen, wie Don Juan selbst

zerrissenen Femmefatale. Zur Mit-

ternachtsmesse lässt der Regis-

seur in der Höhe der Bühne Minis-

tranten einen Weihrauchkessel in

Großformat zum Schaukeln und

Schweben bringen, wie das Sofa

des lustlosen Verführers selbst. Zu

brillant differenzierten Zwischen-

spielen projiziert Häberli Video-

einspielungen aus ,,Sorry Cuys"

von Chantal Michel. Die schweize-

rische Performancekünstlerin setzt

in ihrem genialen Werk eine Frau-

engestalt in Szene, die tänzerisch

versucht, die Schwerkraft zu über-

winden. Diese Videosequenzen

und die endlos schimmernden Wel-

len des Meeres, die durch und

durch glaubhaften Charaktere und

die brodelnde musikalische lnter-

pretation - die Kaiserslauterer ln-

szenierung von Schulhoffs Flam-

men ist fesselndes Musiktheater.

M. Fiedler

PRESSESPIEGEL

Der Neue Merker - Wien

Spielzeit 2007/2008

Ruhe im Tode?" - Erwin Schulhoff: Flammen'; Pfalztheater Kaiserslautern.

Kritik von Dirk Altenaer

So hofft Pamina in der Zauberflöte, aber was ist, wenn selbst die Todesgöttin keine Ruhe findet und sich in Liebe zu "dem" Verführer der weiblichen Seelen verzehrt, zu einem Getriebenen, der zum Leben verdammt ist, verdammt, seinen Trieben zu folgen, aber seinen Todestrieb nicht befriedigen kann?

In Erwin Schulhoffs musikalischer Tragikomödie "Flammen", deren Text Max Brod nach einer Vorlage des tschechischen Surrealisten Karel Josef Benes verfaßte, ist Don Juan nicht der strahlende Verführer Mozarts, sondern ein von seinem Trieb Besessener, der nur eins sucht, seinen Tod. Wobei sich ihm die Todesgöttin "La morte" zwar verzehrend anbietet, darf er nicht sterben, so des Komthurs Fluch. Mozarts Held erscheint uns quasi durch eine surrealistisch dadaistische Vexierbrille, die Vorlage wird nur partiell gestreift - im zweiten Akt, wo Donna Anna den Trieben des Verführers erliegt, worauf der Komthur, ihr Gatte, den Wüstling zum ewigen Leben verdammt. Die gesamte Oper ein Totentanz als ein kaleidoskopartiges perpetuum mobile. Schulhoff findet dafür eine üppig berauschende, alle Sinne betörende Musiksprache, sich orientierend an seinem Ideal Richard Wagner,

atypisch für seine Zeitgenossen, entfesselt Schulhoffeine Klangorgie, die die Symphonik eines Strauss und Mahlers, die formale Stringenz der Neuen Wiener Schule und Hindemiths ebenso vereint, wie die schwülstig üppigen Partituren Zemlinskys und Schrekers mit einem Schuß sowjetischer Avantgarde ä la Prokofjev.

Uwe Sandner und das Orchesters des Pfalztheaters vollbringen Erstaunliches. Als hätten sie nie etwas anderes, alsvdie komplexen Partituren des Vergessenen einstudiert, tönt es in einer atemberaubenden Üppigkeit invschillerndsten Farben aus dem Graben - eine Symphonie der Sinnlichkeit. Auch den Protagonisten wird einiges abverlangt: Meint man, Richard Strauss hasse seine Tenöre, der hat noch keine Note aus der Feder Schulhoffs gehört. Don Juan ist ein heldischer Charaktertenor, der in tristanschen Ausmaßen, er steht in jeder Szene auf der

Bühne, orgiastische Kaskaden im Dauer-Diskant zu vollziehen hat. Kaiserslautern hat mit seinem ehemaligen Ensemblemitglied Douglas Nasrawi einen Künstler gefunden, der diesen Kraftakt mühelos bewältigt und dabei noch nicht einmal zum Forcieren gezwungen ist. Chapeau! Sein nicht gerade schönes Timbre, dem man etwas mehr Sinnlichkeit und Schmelz wünschte, nimmt man da gerne in Kauf. Alle anderen Rollen fallen dagegen zwar nicht gerade auf Nebenrollen-Niveau, können aber mit der zu bewältigenden Menge, mit Don Juan nicht mithalten. Die Verführten Frauen: "Frau, Nonne & Donna Anna" waren in der sicheren Kehle von Silvia Hablowetz trefllich aufgehoben und auch Adelheid Fink gefiel mit

rundem Mezzo als "Margarethe". im Morgenmantel, der älteren verführerischen Marlene Dietrich, durchmaß Anna Maria Dur als Todesgöttin "La Morte" die Bühnenräume und erst im zweiten Akt war es an ihr, ihren pastosen Alt sinnlich verströmen zu lassen.

Alexis Wagner war der baßgewaltige mahnende "Komthur", Daniel Böhm ein keck quirlig zynischer "Harlekin". Fülle des Wohllauts, ließ sich das Schattensextett der Damen Arlette Meißner, Elena Laborenz, Annette Yasmin Glaser (Soprane); Katrin Sander, Dominique Engler und Elena Gerasimova (Altstimmen) umschreiben.

Leider konnte die Regie da nicht ganz mithalten, zumal Urs Häberli auf diskret eingesetzter Drehbühne zwar für reibungsvollen Ablauf sorgte, aber wohl nicht ganz seiner Arbeit und vor allem nicht den symphonischen Zwischenspielen im ersten Teil traute. Auf die eher ernüchternd und in ihrer dauerhaften Penetranz ermüdend wirkenden Video-Sequenzen der schweizerischen Videokünstlerin Chantal Michel hätte man gut und gerne verzichtet, zumal nun rein gar nichts mit der sinnlichen Kraft der Musik zu tun hatten. Aber da der Komponist

glühender Dadaist war, so scheint es, darf man sich da wohl so einiges erlauben, wie auch die unnötige Pseudo-Conference des Titelhelden über lokale Kulturpolitik im zweiten Teil. Schade, damit wurde den üppigen Bildern, die sich eng an die Farbvorgabe Schulhoffs hielten, die Wirkung genommen, Dabei hat Thomas Dörfler mit einfachen praktikablen Fensterwänden einen kühl faszinierenden Raum geschaffen, der an die mystischen "leeren"

Stadtansichten eines De Chirico gemahnten. Phantastisch surreal das grandiose Dombild mit dem überdimensionierten Weihrauchfaß als priesterliche Schaukel. Schön anzusehen die Kostüme Ursula Beutlers, allerdings darf die Frage gestattet sein, warum es, wenn der Komponist schon Nacktheit vorschreibt, so brav und bieder, wenn nicht gar prüde hergehen muß?

Trotzdem ein lohnenswerter Abend, den das Publikum mit herzlichem Applaus quittierte.

Das Kaiserslauterner Wagnis, hintereinander zwei Trouvaillen auf die Bühne zu stemmen, zuvor hatte Ernst Kreneks "Johnny, spielt auf Premiere, sollte anderen, zögerlicheren Häusern ein Beweis sein, daß, so man dem Publikum Ungewohntes anbietet, dieses auch annimmt. Bleibt zu hoffen, daß Erwin Schulhoff endlich der Platzim Repertoire eingeräumt wird, der ihm gebührt.

 

 

Die Opernwelt


KAISERSTAUTERN

 

Schulhoff: Flammen

 

Lohnende Prüfung

 

Ernst Kreneks <Johnny spielt auf> und Erwin Schulhoffs

(Flammen) in einer Spielzeit: Das Pfalztheater Kaisers-

lautern traut sich was. Eine Stückewahl, die man im

nicht gerade theaterprallen Rheinland-Pfalz eher beim

Mainzer Staatstheater vermuten würde. Und das auf

teils sehr beachtlichem Niveau.

...

Regisseur Urs Häberli erzählt de-

tailreich, ä la <Hoffmanns Erzählungen>: Sein Don Juan

durchlebt im vielfach verwendbaren Bühnenbild von

Thomas Dörfler diverse Phasen und Fantasien, La Morte

ist stets dabei wie die Offenbachsche Muse, drei der

 

Frauenfiguren verschmelzen in einer Darstellerin.

Die apart in die dichte, spätromantizistische partitur

eingeflochtenen Mozart-Zitate, die sich Schulhoff ge-

gönnt hat, finden sich auch in der Regie wieder, etwa

wenn der Komtur wie ein Standbild aufgefahren wird.

Zu den virtuosen Jazz-lmplementen des Komponisten

schimmern transparente Bühnenvorhänge, dahinter

rauchiges Bar-Ambiente der zwanziger Jahre. Unter-

haltsam und stimmig das Ganze - vor allem dann,

wenn die Szene sich am wenigsten um Eindeutigkeit

bemüht. Zu den lnterludien des ersten und zweiten Ak-

tes werden Ausschnitte aus dem Film <Sorry Guys> der

Videokünstlerin Chantal Michel gezeigt: Eine junge

Frau kämpft in einem Kubus scheinbar gegen die

Schwerkraft - und gibt so. wenn man will, ein treffen-

des Bild ab für die Unausweichlichkeit des Schicksals je-

ner weiblichen Charaktere, die Don Juan mal hilflos,

mal wissentlich verfallen.

Die musikalische Umsetzung legitimiert das Wagnis

Schulhoff schließlich vollends: Was GMD Uwe Sandner

aus dem Orchester des Pfalztheaters herausholt, ist er-

staunlich: Die Musiker halten den Spannungsbogen der

vielen orchestralen Ekstasen aufrecht, geben ein zwei-

stündiges Plädoyer für das musikalisch nicht minder dif-

fizile Werk. (Flammen) trägt eben auch Zeichen eines

forschenden Opernerstlings, der sich um musikdrama-

turgische Traditionen und Gesetzmäßigkeiten wenig

schert. ...

Claus Ambrosius

 

Schulhoff: Flammen.

Premiere am 19., besuchte Vorstellung am 22. April 2008.

Musikalische Leitung: Uwe Sandner, lnszenierung: Urs Häberli,

Bühnenbild: Thomas Dörfler Kostüme: Ursula Beutler Choreografie:

Stefano Giannetti. Solisten: Douglas Nasrawi (Don Juan), Anna

Maria Dur (La Morte), Silvia Hablowetz (Frau/Nonne/Donna Anna),

Adelheid Fink (Margarethe), Alexis Wagner (Komtur )u. a.

 

 

 

 

 

 

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